LOGO | Vom Sinn den Sinn zu suchen | |||
...über den Menschen... eine gewaltige, milde, väterliche Macht, die sie in ewiger Kindheit gefangen hält. Alexis de Tocqueville - | ||||
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Wer immer diesen Aufsatz liest, er hat sich zuvor auf die Frage: "WARUM will ich das tun ?" eine SINNvolle Antwort gegeben. Solche und andere Fragen nach dem WARUM zu stellen führt zu Antworten, die eine Begründung, ein Motiv, eine Zielvorgabe, einen SINN liefern. Wir tun dies oft, meist unbewusst. (Die Frage nach dem WARUM soll dabei nicht für die Vergangenheit also im kausal-begründenden Sinne , sondern für die Zukunft im final-hinführenden Sinne - gestellt werden. Etwa im Sinne des Wortes: WOZU.) Die Beschäftigung mit SINNfragen kann spannend und für jeden Menschen möglich sein. Ihre Bedeutung soll im folgenden für drei Bereiche untersucht werden. (A) Für
die Schule - weil die Lernsituation der Schule, wie kaum eine andere,
die zukünftige Situation unserer Gesellschaft vorwegnimmt. (A)SINNvolles
Lernen Wenn Schülern solche Fragen vorenthalten werden bzw. wenn die Antwort auf diese Fragen vom Lehrer vorgegeben werden, kann man es kaum lernen. Es entstehen so häufiger Schwierigkeiten, als wenn diese Art von Fragen geradezu als Voraussetzung für wichtige umfangreiche Lerninhalte bewusst gemacht, ausgetauscht und vom Schüler selbst beantwortet werden. Jedem Erwachsenen - wir haben schließlich alle die Schule durchlaufen - ist die Situation in Erinnerung, dass man sich als Schüler die Frage nicht beantworten konnte : WARUM lerne ich das? Schon eine nicht mindestens befriedigende Antwort hat uns damals, und lässt uns heute, mit dem unguten Gefühl, UnSINNiges tun zu müssen, ohne Antriebsimpulse. Dabei sollten die Gründe, etwas zu lernen, nicht nur im Inhalt des Schulfaches selbst liegen. Häufig kann Sympathie zum Lehrer selbst schon Grund genug sein - oder irgend ein erkannter Anwendungsnutzen auch für den abstraktesten Stoff. Bei allem unserem Tun und Lassen gibt es ja nicht nur den ganz großen SINN, der die Philosophen und Theologen beschäftigt, sondern es gibt auch den großen, den mittleren, den kleinen und ganz kleinen SINN. Es gibt ihn eigentlich immer bei jeder unserer Aktivitäten oder Passivitäten. Alle unsere Handlungen erfordern SINN - sonst unterbleiben sie oder werden nur gezwungenermaßen ausgeführt. Und Lernen unter Zwang ist nicht möglich oder zumindest höchst ineffizient. Das Wort "SINN" belegt im übrigen - trotz seiner Unschärfe - eindrucksvoll, was wir meinen, wenn wir nur einen schwachen SINN erkennen: nämlich SchwachSINN. Einen falschen SINN bezeichnen wir als UnSINN, keinen SINN zu sehen hieße, etwas SINNloses vor Augen zu haben. WARUM soll man schon Schülern - oder vielleicht gerade ihnen - die Möglichkeit zu geben, hinter dem umfangreichen Stoff, hinter der Vielzahl der zu lernenden Regeln, selbst SINN zu erkennen? Vielleicht brächte dies eine deutliche Verbesserung der Lernbedingungen der Schüler und noch mehr der Arbeitsbedingungen der Lehrer. Ein Lehrer, der das Interesse seiner Schüler geweckt hat, und sei es nur dadurch, dass er eine Frage gestellt hat und die Geduld und Zuversicht aufgebracht hat zu warten, bis die erste - richtige oder falsche - Antwort Interesse signalisiert, ein solcher Lehrer muss sein Wissen nicht anbieten sondern wird danach gefragt. Er muss Wissen nicht aufdrängen sondern lässt es abholen - ein für alle angenehmer und geradezu spielerisch leichter Vorgang.
(B)SINNvolles
Arbeiten Wie kam es dazu? Die heute noch gebräuchlichen Methoden der exakten Unternehmensführung - des "operations research" - stammen, auch was die Wortwahl angeht, aus der Welt der angelsächsischen Militärs. Da ist von strategischen Zielen, von taktischen und operationalen Zielen die Rede. Letztere werden aus den zeitlich weitreichenderen und hierarchisch vorrangigen abgeleitet. Sie bilden zusammen ein stabiles, gerade in Situationen, die für den Einzelnen nicht überschaubar sind, hinreichend wirkungsvolles System von Handlungsanleitungen. Seine Entsprechung hat dieses Plansystem in einem entsprechend klar gegliederten hierarchischen Aufbau des so geführten Systems. Dort haben von Oben bis zum Einzelnen Befehl und Gehorsam ihre gewünschte Wirkung. Solche Systeme scheinen so lange funktionsfähig, wie drei Bedingungen gegeben bleiben: 1. Die strategischen
Ziele dürfen sich nicht schnell ändern, Die Macht in einem solchen System zu haben, entspricht genau der Definition von Max Weber: Macht ist die Möglichkeit, einem Anderen seinen Willen aufzwingen zu können. Bemühen der Mächtigen in solchen Systemen ist es deshalb, nach der Verfolgung selbst- oder fremd- gesteckte Ziele, auch und vor allem die eigene Macht zu erhalten und auszubauen um das System und damit sich selbst zu erhalten. Diese Macht wiederum ist eng verbunden mit der hierarchischen Struktur. Vor mehr
als zwanzig Jahren schrieb Alvin Toffler sein Buch "Powershift"
auf deutsch: "Machtbeben". Schon damals stellte er fest und
sagte vorher, dass sich Ausmaß und Geschwindigkeit von Änderungen
dramatisch verstärkt haben und weiter verstärken werden. Wir
alle wissen, dass nicht die Änderungen schmerzt, sondern die Geschwindigkeit
der Änderungen. Dies besonders dann und deshalb, wenn wir uns nicht
schnell genug anpassen können. Die oben beschriebenen, wohlgeordneten und bisher bewährten Systeme der "alten Macht" scheinen bei schneller werdenden Änderungen der Umgebungsbedingungen und der Zielsetzungen umso stärker gefährdet, je mächtiger sie im "alten" Sinne sind. Der Versuch, solche Systeme bei "raschem organisatorisch-technischem Wandel", durch die alten Methoden (der Machterhaltung, der Erhöhung der Regelungsdichte, von Befehl und Gehorsam) anzupassen, führt wahrscheinlich, je "mächtiger" oder starrer die Systeme gemacht werden umso rascher und sicherer zu ihrem Zusammenbruch. Nicht das Bisherige mit noch mehr Intensität und mehr Druck von Oben zu tun wäre vielleicht richtig, sondern eine ganz andere Art der Anpassung. Es gibt drei Gründe für diese Vermutung, die mit den (schneller werdenden) Änderungen der oben genannten Existenzsicherungsbedingungen der "alten Systeme" zusammenhängen. 1. Rasch geänderte strategische Ziele - Ein Unternehmen, dessen strategisches Ziel es zum Beispiel war, Umsatzanteile zu erobern oder zu expandieren, verfügt wohl nicht schnell genug über die Ziel-, Maßnahmen- und Verfahrenskenntnisse bei allen Mitarbeitern, die für eine völlig andere selbstgewählte strategische Zielsetzung - zum Beispiel die, ab sofort eisern zu sparen - erforderlich wäre. Die Mitarbeiter haben entsprechende Schwierigkeiten. 2. Rasch geänderte Umgebungsbedingungen - Es gibt zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Geschichte: die Energiekrise von 1973 oder die deutsche Einigung oder der Zerfall der Sowjetunion. Geänderte Umgebungsbedingungen werden in den klar gegliederten hierarchischen Systemen wohl an der Spitze der Hierarchie schnell berücksichtigt und umgesetzt aber für das Gesamtsystem eben nicht schnell genug eingeführt. Moderne Methoden der Führung - und nicht nur der Führung in Unternehmen - versuchen die Anpassungsfähigkeit von Systemen gerade dadurch zu erreichen, dass sie, bei Erhaltung der bewährten äußerlichen Aufbau- und Ablauforganisation, jedes der anpassungsfähigsten Teile der Systeme - und das sind die einzelnen Menschen - "innerlich" anpassungsfähig und -willig machen. 3. Geänderte
Unterordnungsbereitschaft des Einzelnen - Die jüngste Geschichte
scheint zu belegen: wenn das Bewusstsein der Freiheit sich einmal in den
Köpfen der Bürger eingenistet hat, ist es nicht mehr wegzubringen.
Das Selbstbewusstsein, gerade SINNfragen selbst zu beantworten, wird deshalb
tendenziell zunehmen.
WARUM geben
sich Unternehmen eine Vision? Man sieht wohl: solche Fragen sollte jeder Unternehmer und jeder Mitarbeiter eines Unternehmens am besten selbst beurteilen, Um zurück zur Managementtheorie zu kommen: der Gedanke, der in Japan seit 4O Jahren angewendet wurde, eine "lean production" oder ein "lean management" zu haben, greift dies auf. Theoretisch ist der Gedanke ebenso schön wie leicht formuliert aber schwer zu verwirklichen: jeder Mitarbeiter eines Unternehmens steuert sich selbst so, dass seine Handlungen auf die Gesamtzielsetzung abgestimmt sind. Er ist der anpassungsfähige, selbstständige, unternehmerische, kreative Mitarbeiter, der sicherstellt, dass die Unternehmung dieselben Eigenschaften auch hat. Die "äußere" Ordnung des Systems, die Aufbau- und Ablauforganisation, behält ihre Bedeutung. Die "innere" Ordnung tritt absichernd hinzu. Der Mitarbeiter ist - bei aller individuellen Unterschiedlichkeit - mit seiner ganz im Hintergrund stehenden, übergeordneten, in der fernen Zukunft liegenden SINNgebung "gleich" wie die Anderen und "gleich" wie das System. Er ist ein fraktales Teil des Ganzen.
WARUM könnte
es sein, dass die "weichen Faktoren" an Bedeutung gewinnen ? 1. die "harten Faktoren" der Technik und der Organisation auf reifen Märkten in allen Unternehmen gleichermaßen eingeführt sind; weil die meisten Unternehmen hierbei den gleichen ausgefeilten Leistungsstand erreicht haben? 2. die "weichen Faktoren" bei allen Entscheidungen für alle Mitarbeiter allgegenwärtig sind? 3. die "weichen Faktoren" immer nur in eine, die gemeinsam gewählte Richtung wirken? Hierarchische Strukturen und - gemessen an den bisherigen Anforderungen - bewährte Ablaufstrukturen können ohne Gefährdung, ja gerade zur Sicherung des Systems der Unternehmung verändert, verbessert und schnell angepasst werden. Ein solches Unternehmen ändert sich bei Bedarf an jeder Funktions-Stelle gleichzeitig, wo eine "äußerliche", also sachliche oder methodische Änderung nötig ist. Es ist damit in der Lage, die Vielzahl von kleinen und kleinsten Innovationen, die jedem Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz möglich sind, zu erzeugen und sich auswirken zu lassen. Die Anpassung ist keine Reaktion des Systems mehr sondern wird zur selbstgesteuerten, kreativen Aktion. (C)SINNvolles
Leben Immer häufiger wird das Oberste zuunterst gekehrt. Das System der DDR war genau in dem Moment am anfälligsten, in dem die alten Machthaber glaubten, jetzt alle Fälle bei der Stasi registriert und "im Griff" zu haben. Genau dann war das System aufgrund der selbstgeschaffenen starren Regeln nicht mehr in der Lage auch nur den kleinsten Fall flexibel zu beantworten, der nicht vorgesehen war. Wenn dagegen Antworten auf SINNfordernde Fragen in der Schule nicht nur vom Lehrern, in Unternehmen nicht nur von Geschäftsleitungen, in der Gesellschaft nicht nur von den Politikern, in der Kirche nicht nur vom Pfarrer, in der Familie nicht nur vom Haushaltsvorstand gegeben würden, sondern in jeder Gruppe menschlichen Miteinanders von jedem Gruppenmitglied selbst in übereinstimmender Weise gegeben würde, könnte eine neue Gesellschaft entstehen. Der Einzelne bestimmt was für ihn SINNgebend ist - frei von formalen Zwängen und frei von Fremdbestimmung. Die SINNgebung, die Ziele und daraus abgeleitete Hierarchie- und Ordnungssysteme der Gesellschaft wären widerspruchsfrei und vor allem anpassungsfähig. Kybernetiker,
Mathematiker aber auch Mediziner und die Theoretiker des Managements nennen
ein solches System ein chaotisches System mit fraktalen - selbstähnlichen
- Strukturen. Der Begriff der Fraktale stammt auch aus der Chaostheorie und meint, dass selbst bei Betrachtung von äußerst komplexen, also chaotischen Systemen, dennoch eine sich immer wiederholende Regelmäßigkeit die fraktale Abbildung des Ganzen - erkannt werden kann. Uns allen ist bekannt, dass die Erbinformationen, die jedes menschliche Individuum unverwechselbar und einzigartig definieren in jeder Körperzelle jedes Menschen vollständig enthalten sind. Ein Hologramm enthält in jedem Bruchteil dennoch die Gesamtinformation. Ein Ausschnitt aus dem Computerbild einer Mandelbrot-Menge enthält ebensoviel und fraktal dieselben Informationen, wie jeder andere Ausschnitt auch. Ein Chaos in Sinne dieser Theorie ist alles andere als "ohne Ordnung". In einem chaotischen System herrschen - für uns nicht mehr überschaubar, deshalb nennen wir es chaotisch - eine sehr große Anzahl von Freiheitsgraden für sehr viele unabhängige Teile des Systems. Dennoch ist das System geordnet und stabil - es hat mindestens eine oder mehrere Regeln in sich, die wir eben auch nicht erkennen - sonst würden wir dieses System ja nicht "chaotisch" nennen Alle Teile eines chaotischen Systems befinden sich untereinander und miteinander in "Gleichgewichten", deren Regel(n) wir nicht erkennen. Es gibt zum Beispiel in der Natur eine Unzahl von feinstabgestimmten Gleichgewichten. Diese sehr große Zahl von Gleichgewichten bedeutet gleichzeitig, dass ein winziger Anstoß an einer beliebigen Stelle des Systems dieses äußerlich vollständig umordnen kann - obwohl und gerade weil die uns unverständliche ordnende Regel wirkt. Der Flügelschlag eines Schmetterlings in China kann einen Wirbelsturm in Europa auslösen. Geist-Körper-Seele-Entität
ein chaotisches System Das ahnen die Mediziner, dass jedes Individuum
ein einzelnes System, oder eine Fraktale davon, darstellt: Psychische,
also sehr schwache Anstöße können den kräftigsten
Körper lahm legen. Grosse Gruppen von Menschen, eine Familie, eine
Schulklasse, die Belegschaft eines Unternehmens und die Gesellschaft sind,
zusammen mit der Umgebung, in der sie sich befinden, wohl solche chaotischen
Systeme. Dessen Teile können - untereinander im hochempfindlichen
Gleichgewicht - durch kleine Anstöße sehr große Wirkung
erzeugen . Wenn der Flügelschlag eines Schmetterlings ..., was kann
dann ein einzelner Mensch bewegen? In solchen Unternehmen, in solchen Schulen und in einer solchen Gesellschaft gilt ein neuer Machtbegriff, der dem von Max Weber bei weitem überlegen ist: Macht wird die Fähigkeit, SINNvolle Ideen zu haben, sie anderen miteilen zu können, so dass sie sich immer mehr den SINN der Ideen zu eigen machen. Dazu den Mut haben, die Ideen darzustellen und zu kommunizieren mitsamt der Zuversicht, auf jede Reaktion der anderen aufgeschlossen und interessiert zu reagieren. Dann würde eine Idee, die man vertrauensvoll Anderen angeboten hat, von diesen bestätigt oder verbessert, also gestärkt und vergrößert, zurückkommen. Diese Macht wächst durch ihre Verwirklichung. Sie führt beliebig weit. Der ständige, steigende, große Bedarf an SINNerfüllung in unserer Gesellschaft rührt wohl vor allem daher, dass die Summe der Freiheitsgrade für jeden einzelnen von uns so groß ist und ständig zunimmt, dass für die ständig notwendig werdenden Wahlentscheidungen, ein stabiles, in sich schlüssiges und widerspruchsfreies System von SINNgebungen, ein Wertesystem, notwendig ist. Die Menschen in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sind im Jahre 1992 schon als Kinder so weit, dass sie durchaus mit Selbstbewusstsein die Fragen nach dem SINN ihres Tuns stellen und sich selbst beantworten wollen. Ob sie es können, das wird von manchem Lehrer und von manchen Eltern sehr unterschiedlich beantwortet. Recht heftig fallen Reaktionen gerade der Jugend dann aus, wenn der Versuch unternommen wird, ihnen Werte oder SINNgebung vorschreiben oder aufzwingen zu wollen. Die erwünschte
positive Reaktion von Menschen auf Anstöße von anderen gibt
es aber auch. Es gibt Schüler , Mitarbeiter, Menschen, die ihre eigene
SINNgebung auch bei kleinen und kleinsten Tätigkeiten oder Unterlassungen
selbst finden; die dann auch selbst gesteckte Ziele motiviert verfolgen.
Überwiegt
der SINN? Gerade weil SINNvolles Tun immer gefährdet ist, quasi auf Messers Schneide geschieht, ist zu jedem Zeitpunkt Jeder der Richtige, um sich selbst und anderen Anstöße für SINNerfülltes zu geben. Die immer verbleibende Unsicherheit, was aus solchen Anstößen in der Zukunft wird, wird man nie mit Wissen, sondern nur mit Nichtwissen - üblicherweise Glauben genannt - überbrücken können. Gibt es den
Trend, der Wenn diesen
Trend gibt, entsteht eine weitere spannende Frage: Sie haben es bemerkt: der Verfasser glaubt zuversichtlich, dass die in diesem Aufsatz gestellten Fragen nicht nur gelesen werden. )* Lutz, Vom Sinn den Sinn zu suchen, Kornwestheim 1992 |
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